„Hier steh‘ ich, treu dir bis zum Tod ...“
Richard Wagner, Senta in Der fliegende Holländer, Dritter Aufzug
1
Der Holländer hat das Gespräch belauscht, das der Jäger Erik mit Senta führt. Erik erinnert Senta daran, „daß sie ihm einst Treue gelobt“. Senta weist ihn ab. Der Holländer hat aber das Gespräch belauscht und alles mißverstanden. Er verzichtet auf Senta, eilt zum Schiff, die Anker werden gelichtet. „Senta entwindet sich den Zurückhaltenden, erreicht ein Felsenriff und stürzt sich in die Fluten.“ Ihr letztes Wort: „Hier steh‘ ich, treu dir bis zum Tod!“
2 – Putschistische Gefühle
Er fuhr 2000 Jahre auf See, und er entschließt sich von einem Moment zum anderen: Diese Frau (die er nie gesehen hat), heirate ich. Senta, die beschützte Tochter, Perle in der Warensammlung ihres Vaters, wirft sich in kurzem Prozeß diesem Unbekannten hin, von dem sie allerdings Bilder gesehen und Geschichten gehört hat. Nun weiß man, daß solche Bilder oder die mythische Erzählung, demjenigen, der plötzlich real vor uns steht, gar nicht ähneln. Die Gefühle brauchen eine gewisse Zeit. Es ist deshalb unwahrscheinlich, daß Liebe auf den ersten Blick zweiseitig ist. Lang vorbereitetes Gefühl bricht hervor, es hat sich durch Einbildung, erzählte Geschichten, bereichert: deshalb Liebe auf den ersten Blick, aber zunächst nur bei einem; der andere fühlt sich von der so daliegenden Beute magisch angezogen. Er zeigt sich verliebt. Dem äußeren Bild nach: Liebe auf den ersten Blick. Es ist aber der eine mit dem ganzen Gewicht seines Lebens beteiligt, der andere ein Leichtfuß, der eine Gelegenheit wahrnahm. Die Plötzlichkeit, in der sich der Holländer und Senta tödlich und zweiseitig ineinander verlieben, enthält einen Gewaltakt. Es handelt sich um einen Putsch auf dem Gebiet des Gefühls.
3 – Dies ist nichts für den praktischen Sinn meiner Mutter
Meine Großmutter väterlicherseits lebte scharfzüngig, in stetigem Kampf mit dem körperlich zäheren Ehemann bis zu dessen Tod. Ein halbes Jahr nach seinem Tod starb auch sie. Sie war ihm, insbesondere dem Krieg, den sie mit ihm führte, bis zum Tode treu. Meine Großmutter mütterlicherseits, Jahrgang 1872, lebte recht einverständlich mit ihrem Mann, bis er im Jahre 1937 starb. Sie aber lebte noch 36 Jahre und starb drei Wochen nach ihrem 100. Geburtstag, im Februar 1973, körperlich und geistig recht frisch; sie blieb treu, indem sie überlebte.
Zum Programm meiner Mutter, ihrer Tochter, gehörte gewiß nicht, daß einer durch Liebe zu Schaden kommt. Das galt für uns. Sie selbst hat Schaden genommen, ist daran gestorben. Ihr war dies, eine Art Falle des Schicksal, klar, sie redete darüber. Sie fand das nicht tragisch, sondern konsequent. Ein Gefühl wird nicht dadurch falsch, indem es entgleist.
Wofür man einen ekstatischen Schwur leistet, das wird im Programm der Vorgeneration vorbereitet. Hierin liegt die innere Wahrheit des Engels und seines Gebots, des Wiederholungszwangs, des Prinzips der Ballade, der geschlossenen Form, in der das Dramatische versinkt und aus den Fluten, frei nach der Behauptung der Dichter, sich zu Verklärung erhebt. Sachlich geht es um die Bilanzen, nach denen die Vorväter, Vormütter lebten, die ihr Glück suchten, ihr Glück verfehlten, kleine Vorräte anlegten, ausgeräubert wurden usw.
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Der Holländer hat das Gespräch belauscht, das der Jäger Erik mit Senta führt. Erik erinnert Senta daran, „daß sie ihm einst Treue gelobt“. Senta weist ihn ab. Der Holländer hat aber das Gespräch belauscht und alles mißverstanden. Er verzichtet auf Senta, eilt zum Schiff, die Anker werden gelichtet. „Senta entwindet sich den Zurückhaltenden, erreicht ein Felsenriff und stürzt sich in die Fluten.“ Ihr letztes Wort: „Hier steh‘ ich, treu dir bis zum Tod!“
2 – Putschistische Gefühle
Er fuhr 2000 Jahre auf See, und er entschließt sich von einem Moment zum anderen: Diese Frau (die er nie gesehen hat), heirate ich. Senta, die beschützte Tochter, Perle in der Warensammlung ihres Vaters, wirft sich in kurzem Prozeß diesem Unbekannten hin, von dem sie allerdings Bilder gesehen und Geschichten gehört hat. Nun weiß man, daß solche Bilder oder die mythische Erzählung, demjenigen, der plötzlich real vor uns steht, gar nicht ähneln. Die Gefühle brauchen eine gewisse Zeit. Es ist deshalb unwahrscheinlich, daß Liebe auf den ersten Blick zweiseitig ist. Lang vorbereitetes Gefühl bricht hervor, es hat sich durch Einbildung, erzählte Geschichten, bereichert: deshalb Liebe auf den ersten Blick, aber zunächst nur bei einem; der andere fühlt sich von der so daliegenden Beute magisch angezogen. Er zeigt sich verliebt. Dem äußeren Bild nach: Liebe auf den ersten Blick. Es ist aber der eine mit dem ganzen Gewicht seines Lebens beteiligt, der andere ein Leichtfuß, der eine Gelegenheit wahrnahm. Die Plötzlichkeit, in der sich der Holländer und Senta tödlich und zweiseitig ineinander verlieben, enthält einen Gewaltakt. Es handelt sich um einen Putsch auf dem Gebiet des Gefühls.
3 – Dies ist nichts für den praktischen Sinn meiner Mutter
Meine Großmutter väterlicherseits lebte scharfzüngig, in stetigem Kampf mit dem körperlich zäheren Ehemann bis zu dessen Tod. Ein halbes Jahr nach seinem Tod starb auch sie. Sie war ihm, insbesondere dem Krieg, den sie mit ihm führte, bis zum Tode treu. Meine Großmutter mütterlicherseits, Jahrgang 1872, lebte recht einverständlich mit ihrem Mann, bis er im Jahre 1937 starb. Sie aber lebte noch 36 Jahre und starb drei Wochen nach ihrem 100. Geburtstag, im Februar 1973, körperlich und geistig recht frisch; sie blieb treu, indem sie überlebte.
Zum Programm meiner Mutter, ihrer Tochter, gehörte gewiß nicht, daß einer durch Liebe zu Schaden kommt. Das galt für uns. Sie selbst hat Schaden genommen, ist daran gestorben. Ihr war dies, eine Art Falle des Schicksal, klar, sie redete darüber. Sie fand das nicht tragisch, sondern konsequent. Ein Gefühl wird nicht dadurch falsch, indem es entgleist.
Wofür man einen ekstatischen Schwur leistet, das wird im Programm der Vorgeneration vorbereitet. Hierin liegt die innere Wahrheit des Engels und seines Gebots, des Wiederholungszwangs, des Prinzips der Ballade, der geschlossenen Form, in der das Dramatische versinkt und aus den Fluten, frei nach der Behauptung der Dichter, sich zu Verklärung erhebt. Sachlich geht es um die Bilanzen, nach denen die Vorväter, Vormütter lebten, die ihr Glück suchten, ihr Glück verfehlten, kleine Vorräte anlegten, ausgeräubert wurden usw.