Alexander Kluge Rétrospective -  Prospective, Odyssée Cinéma, 24 avril - 3 juin
Rétrospective
Paris 2013
  • Bienvenue ...
  • Avril / April
    • 24.4.>
      • Mercredi 24.4.
      • Mittwoch 24.4.
    • 25.4.>
      • Jeudi 25.4.
      • Donnerstag 25.4.
    • 26.4.>
      • Vendredi 26.4.
      • Freitag 26.4.
    • 27.4.>
      • Samedi 27.4.>
        • Eisenstein
      • Samstag 27.4.>
        • Eisenstein
    • 28.4.>
      • Dimanche 28.4.
      • Sonntag 28.4.
  • Mai 1
    • 29.4.>
      • Lundi 29.4.
      • Montag 29.4.
    • 2.5.>
      • Jeudi 2.5.
      • Donnerstag 2.5.
    • 4.5.>
      • Samedi 4.5.
      • Samstag 4.5.
    • 5.5.>
      • Dimanche 5.5.
      • Sonntag 5.5.
  • Mai 2
    • 8.5.>
      • Mercredi 8.5.>
        • Wagner
        • L'Opéra
      • Mittwoch 8.5.>
        • Wagner
        • Die Oper
    • 9.5.>
      • Jeudi 9.5.
      • Donnerstag 9.5.
    • 10.5.>
      • Vendredi 10.5.
      • Freitag 10.5.
    • 11.5.>
      • Samedi 11.5.
      • Samstag 11.5.
    • 12.5.>
      • Dimanche 12.5.
      • Sonntag 12.5.
  • Mai 3
    • 13.5.>
      • Lundi 13.5.
      • Montag 13.5.
    • 15.5.>
      • Mercredi 15.5.
      • Mittwoch 15.5.
    • 16.5.>
      • Jeudi 16.5.
      • Donnerstag 16.5.
    • 17.5.>
      • Vendredi 17.5.
      • Freitag 17.5.
    • 18.5.>
      • Samedi 18.5.
      • Samstag 18.5.
    • 19.5.>
      • Dimanche 19.5.
      • Sonntag 19.5.
  • Mai 4
    • 20.5.>
      • Lundi 20.5.
      • Montag 20.5.
    • 22.5.>
      • Mercredi 22.5.
      • Mittwoch 22.5.
    • 23.5.>
      • Jeudi 23.5.
      • Donnerstag 23.5.
    • 25.5.>
      • Samedi 25.5.
      • Samstag 25.5.
    • 26.5.>
      • Dimanche 26.5.
      • Sonntag 26.5.
  • Mai 5
    • 27.5.>
      • Lundi 27.5.
      • Montag 27.5.
    • 29.5.>
      • Mercredi 29.5.
      • Mittwoch 29.5.
    • 30.5.>
      • Jeudi 30.5.
      • Donnerstag 30.5.
    • 31.5.>
      • Vendredi 31.5.
      • Freitag 31.5.
    • 1.6.>
      • Samedi 1.6.
      • Samstag 1.6.
    • 2.6.>
      • Dimanche 2.6.
      • Sonntag 2.6.
    • 3.6.>
      • Lundi 3.6.
      • Montag 3.6.
  • video dctp.tv
Bild
Eisenstein beim Schneiden seines Films Oktober (1928)
Was wollte Eisenstein verfilmen? Es geht um seine Notate zur „Kinofizierung“ des Kapitals. Wie hören sich im Jahr 2008 Texte an, die Karl Marx vor beinahe 150 Jahren geschrieben hat? Es geht um eine Annäherung über das Ohr. Wo liegt die Grenze zwischen Antike und Moderne, wenn es um Ideologie geht? 1929? 1872? Früher? Wie würde das Geld, wenn es denken könnte, sich erklären? Kann das Kapital „Ich“ sagen? Dietmar Dath über den Kerninhalt des berühmten Buches von Marx. Sophie Rois über Geld, Liebe und Medea.

Der Plan

Erschöpft saß er da. Wir schreiben den 12. Oktober 1927. Am Tag zuvor hat er die Dreharbeiten für seinen Film Oktober abge­schlossen. Er sitzt auf 60 000 Metern Material, d. h., er verfügt über 29 Stunden belichtetes Filmnegativ. Das muß er nun sortieren und kürzen. Die Anstrengung, einen Film zu drehen, ist geringfügig gegenüber der Strapaze, ihn zu montieren. Sergej Eisenstein steht also vor einem BERG VON ARBEIT. An diesem Abend beschließt er, Das Kapital "nach dem Szenario von Karl Marx“ zu verfilmen. Mit „Szenarium“ meint er das Buch selbst. In den folgenden zwei Jahren verfolgte Eisenstein diesen Plan, den ihm keiner finanzieren wollte: das Zentralkomitee nicht, der Gaumont-Filmverleih in Paris und die Tycoons in Hollywood ebenfalls nicht. Am 30. November 1929 sitzt er in Paris James Joyce gegenüber. Joyce, praktisch blind, spielt ihm auf dem Grammophon seine Lesung aus Ulysses vor; selbst kann er nicht mehr lesen. Eisenstein will entweder – parallel zu Das Kapital – Joyce' Buch verfilmen oder aber Das Kapital nach der literarischen Methode des Ulysses umsetzen.



„KINEMATOGRAFISCH IST JENER FILM, DESSEN SUJET SICH IN ZWEI WÖRTERN WIEDERGEBEN LÄSST.“

Ein imaginärer Steinbruch: Eisensteins Forderungen an den „neuen Film“

Ich sehe den großartigen Plan Eisensteins, Das Kapital zu verfil­men, als eine Art IMAGINÄREN STEINBRUCH. Man kann dar­in Bruchstücke finden, man kann aber auch entdecken, daß darin überhaupt nichts zu finden ist. „Das Unverfilmte kritisiert das Verfilmte“.

Ein solch respektvoller Umgang mit den Plänen eines Meisters wie Eisenstein ähnelt den Grabungen auf einer antiken Fundstel­le; man erfährt mehr über sich selbst, als man an Scherben und Schätzen findet. Es fällt auf, daß die besten Marx-Texte ganz ähn­lich unter Massen von historischem Geröll verbuddelt sind. Gräbt man danach, stößt man vor allem auf Werkzeuge. Die analytischen Gerätschaften und Maschinen, die der Theorieingenieur Marx baute, sind von äußerster Seltenheit. Noch verblüffender sind jedoch die Vorschläge, die Sergej Eisenstein in seinen Notaten für die Zukunft des Filmemachens macht:

•    Er schlägt vor, die lineare Handlung völlig aufzugeben. Es sei, sagt er, not­wendig, Filme wie Kugeln (also wie Sterne und Planeten, die sich in einem Raum frei bewegen und aus deren Gravitation „kugelförmige Dramaturgien“ entstehen) herzustellen. Und Kugelbücher! Das wären in der Praxis giganti­sche Kommentarwerke, ähnlich dem Babylonischen Talmud.

•    Man müsse, so Eisenstein weiter, die filmische Montage ersetzen, indem man Wirkungen nachahmt, die den Obertönen in der Musik entsprechen. Bilder, die simultane Geschehnisse, Gleichzeitigkeiten im Kopf des Zuschauers anregen, d.h. auf die Vielfalt, die solche Menschenköpfe von sich aus hervorbringen, mit den Mitteln des Films antworten. Wie in der seriellen modernen Musik, z. B. in Zwölftonkompositionen, befestigt Eisenstein die Autonomie des Zuschauers (gegenüber der Überredungswucht des Films) und die des Materials (gegenüber dessen Verarbeitung durch den Kunstver­stand). Menschen, sagt Eisenstein, sind nicht einfach, sondern komplex.
 
•    Warum, fragt Eisenstein unter dem Leidensdruck, aus 60 000 Metern ihm teuren Rohmaterials 2000 Meter Gebrauchsfilm montieren zu müssen, gibt es keine Vorführungen der Rohmaterialien selbst? Wahr ist, daß solche Vor­führungen, wann immer man sie in der Filmgeschichte versucht hat, große Erfolge wurden. Aber wie selten geschah das! Wie viel interessanter als die Rhythmusvorlage Symphonie einer Großstadt von Walter Ruttmann wäre für uns das unverschnittene, vollständige Originalmaterial, ein Spiegel des Berlins von 1927? Das Kino, behauptet Eisenstein, werde mißverstanden als Treibhaus der Wahrnehmung. Man müsse jedoch zurück zu einer extensiven Landwirtschaft der Erfahrung.  
  
Wir erleben heute die Inflationierung der wirklichen Verhältnisse. Das Objektive wächst uns über den Kopf, aber wir haben auch Grund, uns vor den Massen an Subjektivem, das dem Bewußtsein entkommen ist, zu fürchten. Mit der Methode und dem Anspruch von Marx ist es gefährlich, sich im Jahr 2013 dieser Wirklichkeit auszusetzen: Man wird mutlos. Man braucht einen Schuß Leicht­sinn, um damit umzugehen. Man muß Till Eulenspiegel und François Rabelais einmal über Marx (und auch Eisenstein) hinwegziehen lassen, um eine Verwirrung zu erhalten, durch die sich Erkenntnisse und Emotio­nen neu verbinden.

Bild

„DIE UTOPIE WIRD IMMER BESSER, WÄHREND WIR AUF SIE WARTEN“

Wieso „ideologische Antike“?

Jede Gegenwart (weil sie praktisch ist) braucht eine Theorie. Ge­eignet sind dafür Bezugspunkte, die außerhalb des gegenwärtigen Geschehens liegen.

An den Küsten Europas gab es Strandräuber. Sie rückten die Leuchtfeuer, an denen die Seeleute sich orientierten, so um, daß die Schiffe scheiterten und sie die Fracht an sich bringen konnten. Für die Seefahrt ist die Navigation nach den Sternen besser. Sie sind unverrückbar. Es war in der Antike üblich, die Helden (z. B. Herkules) an den Sternenhimmel zu versetzen.
 
Bild
Der weite Weg von der Antike bis ins Jahr 2013. Marx, Engels, Lenin und Ovid.

Was sind überhaupt Bilder?

Sind Schriften Bilder? Wenn etwas mündlich erzählt wird, welche Bilder werden dann im Zuhörer wachgerufen? Der Film entsteht im Kopf des Zuschauers. Und zwar in einem vollbesetzten Kino­saal, in dem Menschen aufeinander reagieren, einer Filmöffent­lichkeit. Öffentlichkeit und Autonomie der Bilder (sie gehören den Menschen selbst) sind Tatsachen, mit denen der Filmemacher umgehen können muß.

Es ist deshalb falsch, wenn das Bild auf der Leinwand dem Zu­schauer die eigenen Bilder wegnimmt. Assoziation, Fragmentie­rung, Lücken sind angesagt, die eine Wechselwirkung zwischen Zuschauer und Film ermögli­chen. Insofern enthalten gera­de die Schriften, wie sie für die Stummfilme typisch sind, star­ke „Bild“-Anreize. Umgekehrt gibt es Bilder, die der Zuschauer wie Texte „verstehen“ und quasi nachlesen kann.

Was sind überhaupt Bilder? In dem berühmten Schematismus-Kapitel der Kritik der reinen Vernunft wundert sich Immanuel Kant, daß alle Menschen einen Begriff vom Hund haben (er nennt das den „transzendentalen Hund“), obwohl es doch für die ver­schiedenen Hunderassen (vom Pekinesen bis zum Bernhardiner) kein gemeinsames Bild gebe. Es heißt, „Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind“.
Bild